Am 17. Mai 2013, zur Musik der Band смысловые галлюцинации
kam aus meiner Vagina ein Sohn
und danach – die Plazenta, die die Hebamme auf der Hand wiegend
hielt wie ein Fleischer. Der Doktor legte mir den Sohn auf die Brust
(da wusste ich noch den Namen des Sohns)
und sagte: ihr Sohn. Und der Sohn bepinkelte mir sofort die Brust und den Bauch
und die Welt wurde zu meiner wunden Vagina, zu dem Sohn, zu seinem heißen Strahl,
seinem nassen, warmen Kopf, meinem leeren
Bauch.
Danach nähte man meine Vagina zu,
sie veränderte ihre Form. Wurde eng und eingeschnürt
Gefängnisvagina, Wundenvagina. Ich hatte damals
weiße Kompressionsstrümpfe an – voller Blut,
einen billigen, roten Morgenmantel, gekauft im Chinamarkt,
und darauf zwei Frauen, Baumkronen haltend,
und wilde Tiere, die Frauen haltend.
Ohne Höschen, ohne Hilfe, mit zerzausten Haaren
ging ich nach der Operation über den sonnigen Korridor der Geburtsklinik
den Sohn zu holen. Ich nahm ihn und dachte:
seine Finger ähneln kleinen Gummiwürmern.
*
Jetzt ist meine Vagina ein Bau
für dein kleines, braunes Raubtier mit dem großen Köpfchen,
wo es manchmal hineinschlüpft, um Kraft zu sammeln. Es ist eine Grube
für deine sanfte Zunge, für deine dünnen, starken Finger, die
Schreibgeräten ähneln
aus dem vergangenen Jahrhundert.
Meine Vagina presst sich zusammen jetzt, in ihrer Nähe, etwas höher, schwillt die Klitoris,
ähnlich einer Perle und eingehüllt in
ein zartes, faltiges Kapüzchen, das man manchmal abnehmen kann,
unter dem blinden Regen sachter Berührungen.
Du darfst… Vorsichtig…
*
Als ich 13 war, versuchte ich, dahinein eine
Landgurke zu stecken, ich wollte verstehen, was das ist: Sex.
Damals wusste ich noch nicht, dass es nicht nur die
Penetration ist. Oft habe ich auf die eigene Klitoris im kleinen
zerschlagenen Spiegel geschaut, den Papa zum Rasieren benutzte.
Ich war trockenes Holz, das brannte,
mit jedem Tag nur noch stärker.
*
Ich lebte in der Welt der Schulliteratur, wo alles bloß mit männlichem
Blick sichtbar wird, in der Welt der Viertelskämpfe und Unterführungen, voller schweißiger
Typen in schwarzen Jacken und zerrissenen Schuhen.
Ich liebte es, in der Hocke zu sitzen, liebte
enge Jenas, die die Klitoris drückten
und die großen Lippen.
*
Damals wusste ich noch nicht, dass an meiner Vagina alle ein Interesse haben:
der Staat, die Eltern, Gynäkologen, unbekannte Männer,
orthodoxe Priester mit Schulterstücken unter der Kutte
und auf der Kutte Frauenblut,
Arbeitgeber, Mitarbeiter der Anti-Extremismus-Behörde, Militärs, Neonazis, Einwanderungsbehörden,
Banken, konservative Kritiker des „unsittlichen Lebenswandels“,
patriotische Kulturakteure, traditionelle Werte konsumierend
mit Cocgnac.
*
Aus meiner Vagina kommt einmal im Monat Blut,
dann geht mein Liebster in den Laden, Einlagen kaufen
(mir gefallen die dünnen, mit Kamillengeruch).
Manchmal fällt das Blut in Klümpchen heraus, ähnlich
den runden Helmen kleiner Astronauten.
Mein Menstruationskosmos als Miniatur: Planet Gebärmutter,
Eizellenkometen, die Milchgalaxis der geschwollenen Vulva.
Manchmal läuft das Blut wie Vodka
aus dem besonderen, dünnen Hals einer Souvenirflasche.
Manchmal gibt es keines.
Mir gefällt es, Sex zu haben während meiner Tage,
der ganze Körper wird superempfindlich.
Ich liebe es, wenn dein Glied vollständig in meinem Blut ist
und ich liebe es, mir vorzustellen, dass auch du die Tage hast,
dass das salzige, warme Blut aus dem kleinen Löchlein tropft
auf dein Köpfchen.
Ich liebe es, wenn deine Hände klebrig sind von meinem Blut,
wenn es eintrocknet auf deinen Nägeln und den gerissenen Nagelrändern,
ich liebe es, zu spüren, wie die Gebärmutter in meinem Bauch pulsiert,
wörtlich ein zweites Herz, wie die Brüste anschwellen und heiß werden,
als würde sich von dort bald die Milch ergießen.
Ich gebe sie dir zu trinken, Liebster, sie überläuft dein Gesicht,
deine weichen, rosafarbenen Brustwarzen (fast wie bei einem Mädchen),
macht deine Härchen auf der Brust nass,
deinen Hals, das Bäuchlein, in dem,
so träume ich, du irgendwann unsere Tochter austragen kannst.
*
Ich liebe es, wenn du über meine Vagina redest
und wenn wir beide sie gemeinsam besprechen,
solange du auf mir drauf sitzt,
in meinem T-Shirt und mit den grünen Ohrringen,
die ich dir geschenkt habe,
Ich liebe es, wenn du mich ganz leicht auf die Lippen patschst.
Wie gut, das du das nicht in Russland machst,
wo man Julia Tsvetkova ins Gefängnis stecken möchte, für zärtliche
Zeichnungen von Vaginas,
wo sich meine Freundinnen davor fürchten, sich auf der Straße zu küssen,
wo ich mit Katja nach der Schule lange auf dem Teppich lag,
bei ihr zuhause, und wir uns gegenseitig berührten, uns verwandelnd in ein
salziges Meer und danach
uns fürchteten, darüber zu reden.
*
Unsere Vaginas und Vulvas werden Pussies genannt,
aber ich habe nicht wirklich eine Pussy, eher eine dekorative Haustiermaus,
eine kleine, puschlige, unruhige.
Stirbt sie vor der Zeit?
Stirbt sie im Käfig?
*
Einmal berührte ich meine Maus während einer Vorlesung in der Universität,
berührte sie im leeren Bus, der durch die nächtliche Stadt kroch,
von den Fabriken zu den Plattenbauten, von den Friedhöfen bis zum Einkaufszentrum.
Ich berührte sie hinter den Garagen, an einem Herbstmorgen,
sitzend auf einem rostigen Rohr,
berührte sie in dem Krankenwagen, der mich
zur Operation brachte und berührte sie nach der Operation,
als in der Harnröhre ein Katheter lag, als aus der Harnröhre Blut floss,
berührte, als mein Bauch riesengroß war, in der stickigen
Abteilung der Geburtsklinik,
als ich in der Poliklinik in ein Röhrchen pinkelte,
als ich nachts in dem alten Garten mit der Datsche pinkelte und weinte,
der voller Heuschrecken und Nachtfalter war,
als ich am Ufer des Irtysch direkt in die Hose pinkelte,
nur so, zum Spaß, als ich in den Schnee pinkelte,
beim Pförtnerhaus der Fabrik,
als ich im Wohnheim in den Topf des Sohns pinkelte,
als ich nach dem Bier im Kulturpark pinkelte und unweit
die Bullen herumspazierten,
berührte sie im sommerlichen Wald, als mich Insekten umschwirrten,
die Bäume umarmten.
Berührte sie, nachdem ich mich zufällig mit dem Rasierer in Lippen und Klitoris geschnitten
hatte,
nach dem Streit mit einem Freund und nach
dem forensischen Gutachten,
nach der Fahrt in das Onkologische Zentrum und nach
dem Arrest, in der Mietwohnung,
nach der Protestaktion auf dem Bolotnaja-Platz
und nach der Protestaktion auf dem Marsfeld.
Berührte, Nikolaus von Kues lesend,
Gastev lesend,
Castoriadis,
Ernst Bloch,
die „Ethik“ Alain Badious,
das Ise-Monogatari,
das Physiklehrbuch,
eine Anthologie deutscher Poesie,
Majakowski,
Jakobson:
(ich habe sie erobert!).
Ich berührte meine Maus, als ich weinte und dich verlassen wollte,
berührte, als ich weinte und ein Kind von dir wollte,
berührte, dir auf dem Gesicht sitzend,
und berührte, mein Gesicht
an deinen dunklen Schritt pressend
und einfach so – dir in die Augen blickend.
Und trotzdem kenne, verstehe ich sie bis heute nicht vollkommen,
meine Maus,
ich fürchte und geniere mich.
*
Aber mir gefällt es, sie politisch zu denken,
das regt auf, lässt den Dancefloor alter Ideen beben,
gibt Hoffnung in der Abwesenheit neuer
aktivistischer Methoden.
Die Revolution mit der Vagina machen.
Die Freiheit durch sich selbst machen.
Ich denke, was denn - vielleicht reißt die Vagina diesen Staat ja wirklich ins Verderben,
vertreibt den ungesetzlichen Präsidenten,
lässt die Regierung zurücktreten,
schafft die Armee ab, die Steuern für Arme,
den FSB als Struktur der niederträchtigsten Macht und Unterdrückung,
kommt mit der Polizei klar,
dem Konservatismus und Revanchismus,
löst die unrechten Gerichte auf, befreit
die politischen Gefangenen,
macht den fauligen russischen Nationalismus unmöglich,
die Erniedrigung der Unterdrückten, die abgekarteten Spiele,
zerfickt die Oligarchie und das Patriarchat,
lähmt die Truppen, die sich in fremden Staaten bewegen -
immer weiter und weiter:
Den Militarismus in die Fotze stecken!
Meine Vagina – das ist Liebe, Geschichte und Politik.
Meine Politik – das ist der Körper, das Alltägliche, der Affekt.
Meine Welt – das ist die Vagina. Ich trage die Welt,
aber für einige bin ich: eine gefährliche Vagina,
eine Kampfvagina. Das ist mein Monolog.
Deutsche Übersetzung: Jan Schaldach. Das Gedicht wurde im Juni 2020 zur Unterstützung der repressierten Künstlerin Julia Tsvetkova geschrieben und in Russland heiß diskutiert. In schneller Folge wurde es ins Englische, Rumänische, Polnische, Lettische, Ukrainische und Belarusische übertragen.