Yulia hat das Theater von sich abgeschnitten, weil es ihr weh tut. Das ist ihr Kind, und deswegen schreibe ich über das Theater, nicht sie. Das ist wie eine gestohlene Katze. Als unsere Katze nach Yulias Hausarrest gestohlen wurde, haben wir nicht mehr über die Katze geredet und nicht an sie gedacht. Als ob sie gestorben sei. So ist es leichter, sonst macht man sich zu viele Gedanken.Anna Khodyreva
Die Geschichte vom "Merak" ist wie ein ganzes LebenDie fängt noch von der Gründung des Theaters an. Um uns etwas zu merken oder zu verstehen, haben wir immer Impro-Theater gemacht. Die Gruppe der Kinder und Jugendlichen war divers, die Teilnehmer*innen wechselten ständig. Die Improvisationen machte man in Gruppen. Yulia gab einfach die allgemeine Richtung vor an und die Kinder bestimmten selbst, was sie dazu entwickelten.
Am Anfang gab es den Kurs "Theatralisches Englisch". Alle spielten und nutzten die Gegenstände, die sie im Raum zur Verfügung hatten. Bühnenbilder und Kostüme haben wir nicht extra angefertigt. Da alles in Englisch war, und wir alle Englisch nicht so gut konnten, haben wir viel unsere Gefühle zum Ausdruck gebracht. Die sprachliche "Einschränkung" hat uns gezwungen, uns mehr dem eigenen Körper, unseren Händen und unserem Gesicht zuzuwenden. Die Spielenden zeichneten viel und benutzten Bilder in ihren Präsentationen. Im Prozess haben wir immer viel diskutiert.
Wir brachten den Kindern nicht bei "was richtig ist und wie man was machen muss", wir bestärkten die Kinder darin, an sich selbst zu glauben und selbst zu verstehen, was für sie das Richtige ist.
In dem Kurs "Theatralisches Englisch" haben sich viele sich von dem Stigma "Ich werde nie Englisch können" befreit. Theatralisches Englisch hat auch einen Konflikt zwischen den Eltern und ihren Kindern aufgezeigt. Die Erwachsenen wollten, dass Englisch mit Hausaufgaben, mit unregelmäßigen Verben, am Tisch Sitzen und Lehrbüchern verbunden ist, die Kinder wollten auf eine spannende Art ohne Paukerei Englisch lernen. Mit unserer Art sind wir angeeckt und einige Eltern schickten ihre Kinder stattdessen lieber in klassische Sprachzentren. Es schien, als könnten die Erwachsenen nicht daran glauben, dass Lernen leicht, spannend und interessant sein kann.
Wir haben auch viel draußen gemacht. Wir haben immer verschiedene Räume in unserem Prozess genutzt. Wir luden verschiedene interessante Menschen ein, hauptsächlich Verwandte, damit sie uns etwas über ihre Arbeit oder ihr Studium erzählten.
Alle unsere Kinder hatten viel zu tun. Viele hatten Nachhilfe und besuchten verschiedene Kurse. Malen hielten die Eltern für unnötig und erlaubten ihren Kindern deswegen nur sonntags unseren Kurs zu besuchen. Wir nutzten das voll aus: zwei Stunden in Design und Englisch und eine Stunde - Tanz, damit wir keine Probleme mit den Eltern hatten, die für einen Tanzkurs nicht hätten zahlen wollen, weil sie Tanz für unwichtig halten. Der Geldbetrag für den Kurs war symbolisch: 200 Rubel (ca. 2,50 Euro). Die Grundlage für unseren Tanzkurs war eher Kontaktimprovisation. Den Kindern fehlen Berührungen: einfach mal auf dem Teppich oder aufeinander zu liegen, auf den eigenen Körper zu hören, zu hören, wie die Beine sprechen, wie sich die Knie anfühlen; sich mit den eigenen Anspannungen zu beschäftigen, zur verschiedener Musik neben deinen Freund*innen tanzen. Oft machten Yulia und ich mit und bewegten uns alle zusammen.